Donnerstag, 9. Januar 2014

Baranowski: Es ist nicht wichtig wie, sondern dass wir überhaupt daran erinnern

Interview zur Geschichte der Rüstungsproduktion in Südniedersachsen und Nordhthüringen

Frank Baranowski ist der Fachmann für die Rüstungsproduktion in Südniedersachsen bis 1945. Seit einem Schülerwettbewerb 1988 beschäftigt sich der gebürtige Eichsfelder mit diesem Thema. Auslöser waren damals die Erzählungen und Erfahrungen seiner Großmutter in einer Duderstädter Waffenschmiede. Seit 1995 veröffentlich der Jurist seine Recherchen regelmäßig in Form von Büchern. Ende 2013 legt er im Verlag Rockstuhl  "Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 - 1945" vor. Das Buch zeigt, wie die Wehrmacht noch zu den Zeiten die Wiederbewaffnung betrieb und wie die Nazis nach 1933 hier anknüpften. Es zeigt vor allem, dass Südniedersachsen von dieser Aufrüstung profitierte.

Warum lagen 18 Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten Buch?

Dazwischen gab es noch einige andere. So habe ich unter anderem mehrere Beiträge in "Der Ort des Terrors" veröffentlicht. Neben einer Vielzahl an weiteren Einzelbeiträgen konnte ich nach meinem "Erstlingswerk" über das Polte-Werk in Duderstadt im Jahr 1995 das Buch "Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit" veröffentlichen, das große Zuspruch gefunden hatte. 1998 erschein dann das Buch "Rüstungsprojekte in der Region Nordhausen, Worbis und Heiligenstadt während der NS-Zeit" und in 2000 "Die verdrängte Vergangenheit. Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Nordthüringen".  Weitere Informationen  gibt es unter http://www.rabaranowski.de/inhalt/veroeffentlichungen.html

Baranowski forscht seit 18
Jahren zur Rüstung. 
Da muss ich wohl meine Quellen überprüfen. Aber was macht das neue Buch aus?

Das neue Buch fasst quasi die jahrelangen Recherchen und Ergebnisse in einem Buch zusammen. Meine Recherchen legten Strukturen offen. Insbesondere ergaben sich strukturelle und regionale Unterschiede beim Vergleich der Situation in Südniedersachsen und Nordthüringen. Dies drängte die Frage nach dem "Weshalb" auf. Was war der Grund für eine solch abweichende Entwicklung in einem klar abgegrenzten, dennoch aber regional angrenzenden Bereich? So ergaben meine Forschungen, dass die Rüstungsindustrie in südlichen Teil Niedersachsens stark ausgeprägt war, insbesondere im Bereich der beiden "Rüstungshochburgen" Salzgitter und Wolfsburg. Beides Städte, die erst infolge des Rüstungsaufschwunges und der Autarkiebestrebungen des Deutschen Reiches entstanden. Im näheren Umfeld die Rüstungszentren Braunschweig und Hannover. Der Harz und selbst die Universitätsstadt Göttingen waren weitaus weniger beansprucht. In Nordthüringen hingegen fand bis Sommer 1943 so gut wie keine Rüstungsproduktion statt, mit Ausnahme der Enklave Sömmerda. Dort war die Firma Rheinmetall Sömmerda beheimatet. Sie war einige der wenigen Firmen, die mit Genehmigung der Alliierten dazu berechtigt war, in eingeschränktem Umfang die Rüstungsproduktion nach dem Ersten Weltkrieg fortzuführen. Sie stattete die Reichswehr mit  Zündern aus, forschte aber auch im Geheimen an neuen Waffensystemen. Auch wurden die zugelassenen Mengen bei Weitem überschritten. So ist es nicht verwunderlich, dass Rheinmetall nach der Machtübernahme zu dem führenden und größten Unternehmens Thüringens avancierte. Impulse für das Umland blieben aus. Selbst die Ansiedlung von Firmen mit staatlichen Mitteln führte zu keinem nennenswerten Aufschwung.

Können Sie den Ablauf kurz skizzieren?

Die Entwicklung im südlichen Teil Niedersachsen vollzog sich in zwei Etappen. Der Grundstein wurde bereits Anfang der 1920er Jahre gelegt, nämlich mit den geheimen Bestrebungen der Reichswehr, hinter dem Rücken der Alliierten und den völkerrechtlich gültigen Rüstungsbeschränkungen den Aufbau eines 63 Divisionen-Heeres zu betreiben. Ein erster in aller Heimlichkeit ausgearbeiteter Entwurf lag Ende 1923 vor. Die Umsetzung gestaltete sich allerdings schwierig, da die für die Umsetzung erforderlichen finanziellen Mittel fehlten. Ohne den Rückhalt der Reichsregierung ging die Reichswehr seit 1926 daran, für Rüstungszwecke geeignete Betriebe in ‚Innerdeutschland‘ anzusprechen und systematisch zu erfassen. Bis Ende 1931 entstand so für sämtliche Waffengattungen ein Verzeichnis mit etwa 1.000 potentiellen Rüstungsproduzenten und -lieferanten, grenzfern in ‚Innerdeutschland‘ gelegen. Unternehmen im Raum Hannover und Braunschweig hatten in der Auflistung einen überproportionalen Anteil. Offenbar war es der Lobby ihrer Industrieverbände gelungen, ihr Potential in der Metallverarbeitung, dem Fahrzeugbau und der Optik herauszustellen.

Parallel zu diesen Aufrüstungsmaßnahmen unterstützte die Reichswehr schon in den 1920er Jahren die Rüstungsforschung der Industrie aus "schwarzen Kassen". Die Entwicklung neuartiger Waffen fand sorgfältig abgeschirmt auf den Reißbrettern von Konstruktionsbüros, in Laboratorien, Versuchswerkstätten und bei Privatunternehmen statt. So entstanden ‚Schubladenergebnisse‘ und Blaupausen, die nach 1933 für eine Massenproduktion aktiviert werden konnten. Wegen der Kosten hatten bis dahin allenfalls Prototypen zu Versuchszwecken die Werkstätten verlassen, die teils im Ausland - insbesondere in Russland - getestet wurden. Diese Entwicklung konnte von mir sehr gut an dem Beispiel des Unternehmers und Erfinders Curt Heber nachgezeichnet werden. Er hatte in den 1920er Jahren für die Luftwaffe an speziellen Abwurfwaffen gearbeitet, die in Russland getestet wurden. Zuvor hatte er versucht, in Göttingen mit der Übernahme eines angestammten Unternehmens Fuß zu fassen. Mitte der 1930er Jahre geriet er in Misskredit ,er wurde enteignet und für mehrere Monate inhaftiert. Offenbar auf Drängen von Göring kam er wieder frei und wurde teilweise für den Verlust seiner Fabrik in Neubrandenburg entschädigt. Mit den Ausgleichszahlungen ließ sich Heber in Osterode nieder und setzte dort unter neuer Firma - die HEMAF - die Produktion fort.

Noch viel mehr steht
 hier drin. Foto: Verlag
Auf die in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre eingeleiteten Erkundungen und auf die Ergebnisse der während der Weimarer Zeit verdeckt betriebenen Rüstungsforschung konnte die Reichswehr und NS-Machthaber nach 1933 zurückgreifen und unverzüglich daran gehen, die erfassten Betriebe gezielt anzusprechen. Schon nach 18 Monaten, bis Mitte 1934, hatten etwa 2.800 erste Rüstungsaufträge erhalten. Die in aller Stille von der Reichswehr getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen bildeten die sofort abrufbare Grundlage der NS-Aufrüstungspolitik. Ohne diesen Vorlauf wäre die rasche und erstaunlich reibungslose Wiederaufrüstung seit 1933 undenkbar gewesen. Die dabei von der Reichswehr in den 1920er Jahren angelegten Strukturen blieben so erhalten, ebenso wie die Bevorzugung bestimmter Regionen. Weiter wurde die Wirtschaftsstruktur durch den mit Staatsmitteln finanzierten Bau neuer Rüstungsschmieden beeinflusst. Zur Verschleierung erfolgte dies unter einem zivilrechtlichen Mantel der im Staatsbesitz befindlichen Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH. Die Standortwahl der heereseigenen Betriebe erfolgte nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Sinnhaftigkeit, sondern aus militärischen Gründen in möglichst abgelegenen Gegenden, fernab der großen Industriezentren und Verkehrsknotenpunkte. Städte und Kommunen in Südniedersachsen, insbesondere die des Harzes, boten günstige Voraussetzungen. Etwa 10 % der vom Reich insgesamt verausgabten „Montan-Mittel“ gingen nach Bad Lauterberg, Göttingen, Langelsheim, Herzberg und Clausthal-Zellerfeld.

Nordthüringen blieb von dieser Entwicklung abgekoppelt. Erst als Mitte 1943 der Bombenkrieg der Alliierten hereinbrach, änderte sich diese Situation schlagartig. Zum Schutz der Ressourcen bestand die Notwendigkeit, die in den Jahren zuvor auf engstem Raum geschaffenen Rüstungszentren zu dezentralisieren, um sie so vor den Angriffen der Alliierten und vor einen Totalverlust zu schützen. Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit der Unter-Tage-Verlagerung der Raketenproduktion in die Stollenanlage des Kohnsteinmassivs bei Niedersachswerfen. Die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) hatte das Gängesystem seit Sommer 1936 als Treibstofflager angelegt, die im Spätsommer 1943 für die Raketenproduktion beansprucht wurde. Bereits zum Ausbau der Stollenanlage wurden KZ-Häftlinge aus dem nahegelegnen KZ Buchenwald auf die Baustelle geschafft. Der erste Transport traf dort Ende August 1943 ein. Da keine Baracken zur Verfügung standen und der Ausbruch der Stollenanlage oberste Priorität hatte, brachte die SS die Bauhäftlinge in den Stollen selbst unter. Anfänglich schliefen die Häftlinge auf Strohsäcken, die sie auf den blanken Fels legten. Erst im September 1943 ließ die SS zur Unterbringung weiterer KZ-Zwangsarbeiter hölzerne Etagenbetten einbauen. Bis zum Umzug in das oberridische Barackenlager - dem späteren KZ Mittelbau-Dora - sahen die Stollenarbeiter über Monate hinweg kein Tageslicht. Im November 1943 waren es bereits 8.500, die derart unter Tage vegetierten. Nach dem „Modell“ Dora sollten ab Herbst 1943 weitere Werke besonders kriegswichtig erachteter Sparten der Rüstungsproduktion in künstlichen Berghöhlen und neu geschaffenen Untertageanlagen - insbesondere in der Region um Nordhausen -  untergebracht werden. So sahen die NS-Planungen vor, in Nordthüringen eine Art Festung, Zentrum und letzten Zufluchtsort der deutschen Kriegsindustrie zu schaffen.

Die Arbeit am ersten Buch war ja stark biografisch geprägt. Schließen Sie mit dem diesem Buch etwas ab?

Das Buch ist durchaus ein Meilenstein, aber nicht das Ende meiner Recherchen. Es stehen weitere Projekte und Monografien zu einzelnen Rüstungsstandorten und -betrieben an. In den letzten Jahrzehnten hat sich viel Material angesammelt, das noch auszuwerten ist, zumal immer wieder neue Erkenntnisse hinzukommen. Für 2014 sind weitere Veröffentlichungen geplant, beispielsweise ein Beitrag zur "Heimkehle und Barbarossahöhle in den Fängen der Rüstungsindustrie".

Glauben Sie, dass es zu diesem Thema auch weiterhin Forschungsbedarf geben wird?

Ja, mit Sicherheit. Mein Buch kann nur der Anfang einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema sein. Insbesondere was die geheime Wiederaufrüstung der Reichswehr und die Kooperation mit der Industrie angeht, steht die Geschichtsforschung noch ganz am Anfang. Gerade in diesem Punkt besteht noch viel Handlungs- und Klärungsbedarf.

Einige der Produktionsstätten stellen als Altlast immer noch eine Gefährdung der Umwelt dar. Wünschen Sie sich mehr Engagement von Land und Bund bei der Bewältigung dieses Kapitels?

Insbesondere die Länder Thüringen und Niedersachsen haben, soweit ich dies beurteilen kann, hervorragende Arbeit bei der Erfassung und Erkundung von Altlasten geleistet. Ich selbst habe einige Projekte aktiv unterstützt und zum Teil an der Ausarbeitung von Gutachten als Co-Autor zu diversen Standorten in Nordthüringen mitgewirkt. Alle Rüstungsstandorte wurden flächendeckend nach Gefahrenstufen erfasst. Die sich daraus ergebenden Gefährdungspotentiale wurden bewertet und - soweit wie möglich - die erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Dies soll nicht bedeuten, dass die Gefährdung der Umwelt heute kein Thema mehr ist. Selbstverständlich besteht weiterhin Handlungsbedarf, insbesondere was die Altlasten in Herzberg in Clausthal-Zellerfeld angeht. Es ist noch viel zu tun.

Bei Heber in Osterode war Rüstungsarbeit 
vor allem Zwangsarbeit. Foto: Archiv
Der größte Teil der Belegschaft in der Rüstungsindustrie war während der Kriegsjahre Zwangsarbeit und Kriegsgefangene. Wie kann man diesen Opfern ein angemessenes Gedenken geben?

Ich habe mit vielen ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen gesprochen, die sich mir gegenüber trotz der erlittenen Qualen geöffnet haben. Sie sprachen teils sehr ausführlich über ihr Schicksal. Für sie war es teils eine Erleichterung, über die schrecklichen Erlebnisse sprechen zu können. Zudem war es für sie wichtig, dass ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät, sondern darüber berichtet wird. Von daher ist es nicht wichtig wie, sondern dass überhaupt daran erinnert wird. Die Art und Weise spielt dabei keine Rolle. Egal ob in Buchform, Gedenkstele oder Mahnstätte vor Ort.

Schließen wir doch mit einer persönlichen Frage ab. Warum sind Sie Jurist geworden und nicht Historiker?

Historiker wäre mein Traum gewesen. Allerdings hat mich meine Frau, die damals eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellte machte, davon abgehalten.

Ich danke Ihnen.


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