Dienstag, 14. Januar 2014

Nuhr: Alles eine Frage der Software



 Der Comedian und Kabarettist zu den Fragen der Themenwahl und deren Grenzen

Wenn es noch eines Beweises gebraucht hätte, nun ist er da. Ich bin doch der Zuhörer für die Komiker. Als ich im Januar 2014 das Angebot bekam, Dieter Nuhr im Vorfeld seines Auftritts in derGöttinger Lokhalle ein paar Frage zu stellen, habe ich gleich zugesagt. Hier sind die Antworten.

Herr Nuhr, Wahn und Wirklichkeit ist ein großes Thema in ihrem aktuellen Programm. Wie unterscheiden Sie zwischen beiden?

Hoffentlich erfolgreich. Aber wer kann das sagen? Manchmal denke ich, dass ich mir alles nur einbilde, ein Problem, das schon Platon und Descartes mit sich rumschleppten. So lange ich nicht eingeliefert werde, gehe ich davon aus, dass die Welt, die ich wahrnehme, die richtige ist...
An welche schönen Dinge könnten wir alles denken, wenn unsere Gehirn nicht zu 90 Prozent mit Lügen und aberwitzigen Verdrehungen beschäftigt wäre? Könnten wir es überhaupt vertragen, wenn auf einen Schlag solche Hirnkapazitäten freiwerden?

Nun, wir leben ja ohnehin in der komfortabelsten und angenehmsten Welt, die es je gegeben hat. Heizung, fließend warmes Wasser, thailändische Restaurants, was will man mehr? Nehmen wir also einfach unseren Wahn als Wirklichkeit und denken wir gar nicht darüber nach, was wäre, wenn alles nur ein Traum wäre.
Wenn Sie 13.277 krude Gedanken auf 300 Seiten unterbringen können, wer sortiert eigentlich ihre Gedanken?

Das mache ich selbst. Ich habe einen Filter vor der Hypophyse. Alles eine Frage der Software.
Wie sieht ihr Plan vom Glück aus? Ist dieser Plan massentauglich?

Ich glaube, wenn alle denselben Plan vom Glück hätten, würde das ziemlich sicher ins Unglück führen. Aber ich glaube, dass man für das Glück in einem Land leben muss, dass einem die individuelle Gestaltung des Lebens ermöglicht. Das tun wir hier. Und das wird unterschätzt, eben weil man es hier nicht mehr anders kennt. Ich empfehle gerne, ab und zu mal ein Land zu besuchen, wo das anders ist, das hebt die Freude am eigenen Dasein. Fahren Sie einfach mal nach Thailand und sagen Sie was Schlechtes über den König. Oder versuchen Sie in Venezuela zu demonstrieren. Oder reisen Sie als Schwuler nach Russland. Da wissen Sie, wie nah wir hier am Glück sind.
Wie sieht eigentlich ihr perfekter Tag aus?

Er fängt nicht vor dem Aufstehen an, bringt Zeit für ein ausgiebiges Frühstück mit sich, ist voller Kaffee, warm, sonnig und endet mit einem guten japanischen Abendessen. Zwischendurch, Sport, lesen und den Geschlechtsverkehr lasse ich aus Gründen der Pietät einfach unerwähnt.
Comedy oder Kabarett? Für Dieter
Nuhr eine  Frage der Software.

Foto: Kulturagenten
Was machen sie da eigentlich? Comedy, Kabarett?

Wenn mir da einer mal Bescheid geben könnte, ich weiß es nicht. Meine Arbeit ist lustig, also handelt es sich um Comedy. Ich beschäftige mich mit dem Leben und dem Sein, also ist es Kabarett. Mir ist das sowieso wurscht. Aber andere interessieren sich offenbar dafür, Witze einzuordnen. Wenn man sonst keine Probleme hat, herzlichen Glückwunsch.



Wann lachen Sie eigentlich über sich selbst?



Ständig.
Manche ihrer Kollegen sind viele Jahre mit ein und demselben Programm unterwegs? Wo liegt die Halbwertszeit ihrer Programme?

Ich verbrauche in zwei Jahren anderthalb Programme. Nach zwei Jahren gibt es dann jeweils wieder was völlig Neues. Dieser Rhythmus hat sich als praktikabel erwiesen.
Verändert sich ihr Programm eigentlich im Laufe einer Tournee?

Etwa die Hälfte ändert sich im Laufe der Zeit.
Was ist einstudiert und wie groß ist der Anteil der Improvisation? 

Unterschiedlich, am Anfang wird mehr improvisiert als am Ende der Laufzeit. Aber insgesamt besteht die Kunst unter anderem darin, alles so erscheinen zu lassen, als wenn es mir gerade einfallen würde.
Herr Nuhr,  auf der einen Seite amüsieren Sie sich darüber, dass die Leute nicht mehr an die Wahrheit glauben, sondern nur noch an den “Bullshit”, der im Internet zu lesen ist. Auf der anderen Seite sind Sie selbst hochaktiv bei Twitter, Facebook und auf www.nuhr.de. Wie passt das zusammen?

Ich bin sozusagen gezwungen, bei Twitter und Facebook zu sein, sonst schreibt jemand anders in meinem Namen. Irgendwelche Idioten verfügen ja auch über Mailadressen wie dieternuhr@googlemail.com, obwohl sie definitiv einen anderen Namen haben, meinen gibt es nämlich nur ein Mal. Also tut da irgendein Blödmann so als wäre er ich. Das kann entweder auf Persönlichkeitsspaltung beruhen oder aber, was wahrscheinlicher ist, auf bloßem Deppentum.
Herr Nuhr, wo sind ihre Grenzen? Welches Thema würden Sie nie anfassen?

Ich fasse jedes Thema an, das mich interessiert. Und exakt das ist auch meine Grenze. Was mich interessiert wird verarbeitet, der Rest nicht. Im besten Fall gibt es genügend Leute im Publikum, die das dann mit vollziehen.
Ein kleines Gedankenspiel: angenommen sie haben mal einen freien Tag und sitzen vor dem Fernsehen oder sonst einem ähnlichen Gerät. Es klingt an der Tür und der Tod bittet um einen sofortigen Termin. Was antworten Sie?

a) Ja gerne doch. Kommen Sie rein, Sie wollte ich immer schon mal sprechen.

b) Jetzt nicht, lassen Sie sich von meinem Management einen Termin geben.

c) Nein, also wirklich, komplett in schwarz, das ist doch total retro. So etwas tragen noch nicht einmal die Zeugen jehovas und die kommen hier auch nicht rein.

d) Danke nein, in Sachen Gartengeräte sind wir komplett ausgestattet.

Ich würde sagen: e) Das muss ein Irrtum sein, Herr Nuhr wohnt hier nicht mehr. Ich bin seine Frau.
Herr Nuhr, wann werden Sie endlich Pressesprecher des DFB?

Unwahrscheinlich. Ich bin zum Verlautbaren nicht geeignet.
Angeblich bereitet Lothar Matthäus das nächste Outing vor. Noch an diesem Wochenende will er öffentlich bekennen, dass er nie Fußball spielen konnte und das es ihm auch nie Spaß gemacht hat. Glauben Sie dem Loddar?

Fußball gehörte doch zu den wenigen Dingen, die er wirklich konnte. Das verstehe ich nicht...
Welche Fragen können Sie nicht mehr hören?

Das Hören kann man ja nicht so einfach abstellen. Beim Sehen macht man einfach die Augen zu, aber beim Hören geht das nicht. Insofern habe ich da ja gar keine Wahl, da spare ich meine Denkressourcen und denke über die Frage nicht weiter nach...
Welche Fragen beantworten Sie grundsätzlich nicht?

Privat bleibt privat.
Welche Frage wurde Ihnen noch nie gestellt?

Diese nicht.


Ich danke Ihnen.



Die offizielle Website

Die Biographie bei wikipedia

Donnerstag, 9. Januar 2014

Baranowski: Es ist nicht wichtig wie, sondern dass wir überhaupt daran erinnern

Interview zur Geschichte der Rüstungsproduktion in Südniedersachsen und Nordhthüringen

Frank Baranowski ist der Fachmann für die Rüstungsproduktion in Südniedersachsen bis 1945. Seit einem Schülerwettbewerb 1988 beschäftigt sich der gebürtige Eichsfelder mit diesem Thema. Auslöser waren damals die Erzählungen und Erfahrungen seiner Großmutter in einer Duderstädter Waffenschmiede. Seit 1995 veröffentlich der Jurist seine Recherchen regelmäßig in Form von Büchern. Ende 2013 legt er im Verlag Rockstuhl  "Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 - 1945" vor. Das Buch zeigt, wie die Wehrmacht noch zu den Zeiten die Wiederbewaffnung betrieb und wie die Nazis nach 1933 hier anknüpften. Es zeigt vor allem, dass Südniedersachsen von dieser Aufrüstung profitierte.

Warum lagen 18 Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten Buch?

Dazwischen gab es noch einige andere. So habe ich unter anderem mehrere Beiträge in "Der Ort des Terrors" veröffentlicht. Neben einer Vielzahl an weiteren Einzelbeiträgen konnte ich nach meinem "Erstlingswerk" über das Polte-Werk in Duderstadt im Jahr 1995 das Buch "Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit" veröffentlichen, das große Zuspruch gefunden hatte. 1998 erschein dann das Buch "Rüstungsprojekte in der Region Nordhausen, Worbis und Heiligenstadt während der NS-Zeit" und in 2000 "Die verdrängte Vergangenheit. Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Nordthüringen".  Weitere Informationen  gibt es unter http://www.rabaranowski.de/inhalt/veroeffentlichungen.html

Baranowski forscht seit 18
Jahren zur Rüstung. 
Da muss ich wohl meine Quellen überprüfen. Aber was macht das neue Buch aus?

Das neue Buch fasst quasi die jahrelangen Recherchen und Ergebnisse in einem Buch zusammen. Meine Recherchen legten Strukturen offen. Insbesondere ergaben sich strukturelle und regionale Unterschiede beim Vergleich der Situation in Südniedersachsen und Nordthüringen. Dies drängte die Frage nach dem "Weshalb" auf. Was war der Grund für eine solch abweichende Entwicklung in einem klar abgegrenzten, dennoch aber regional angrenzenden Bereich? So ergaben meine Forschungen, dass die Rüstungsindustrie in südlichen Teil Niedersachsens stark ausgeprägt war, insbesondere im Bereich der beiden "Rüstungshochburgen" Salzgitter und Wolfsburg. Beides Städte, die erst infolge des Rüstungsaufschwunges und der Autarkiebestrebungen des Deutschen Reiches entstanden. Im näheren Umfeld die Rüstungszentren Braunschweig und Hannover. Der Harz und selbst die Universitätsstadt Göttingen waren weitaus weniger beansprucht. In Nordthüringen hingegen fand bis Sommer 1943 so gut wie keine Rüstungsproduktion statt, mit Ausnahme der Enklave Sömmerda. Dort war die Firma Rheinmetall Sömmerda beheimatet. Sie war einige der wenigen Firmen, die mit Genehmigung der Alliierten dazu berechtigt war, in eingeschränktem Umfang die Rüstungsproduktion nach dem Ersten Weltkrieg fortzuführen. Sie stattete die Reichswehr mit  Zündern aus, forschte aber auch im Geheimen an neuen Waffensystemen. Auch wurden die zugelassenen Mengen bei Weitem überschritten. So ist es nicht verwunderlich, dass Rheinmetall nach der Machtübernahme zu dem führenden und größten Unternehmens Thüringens avancierte. Impulse für das Umland blieben aus. Selbst die Ansiedlung von Firmen mit staatlichen Mitteln führte zu keinem nennenswerten Aufschwung.

Können Sie den Ablauf kurz skizzieren?

Die Entwicklung im südlichen Teil Niedersachsen vollzog sich in zwei Etappen. Der Grundstein wurde bereits Anfang der 1920er Jahre gelegt, nämlich mit den geheimen Bestrebungen der Reichswehr, hinter dem Rücken der Alliierten und den völkerrechtlich gültigen Rüstungsbeschränkungen den Aufbau eines 63 Divisionen-Heeres zu betreiben. Ein erster in aller Heimlichkeit ausgearbeiteter Entwurf lag Ende 1923 vor. Die Umsetzung gestaltete sich allerdings schwierig, da die für die Umsetzung erforderlichen finanziellen Mittel fehlten. Ohne den Rückhalt der Reichsregierung ging die Reichswehr seit 1926 daran, für Rüstungszwecke geeignete Betriebe in ‚Innerdeutschland‘ anzusprechen und systematisch zu erfassen. Bis Ende 1931 entstand so für sämtliche Waffengattungen ein Verzeichnis mit etwa 1.000 potentiellen Rüstungsproduzenten und -lieferanten, grenzfern in ‚Innerdeutschland‘ gelegen. Unternehmen im Raum Hannover und Braunschweig hatten in der Auflistung einen überproportionalen Anteil. Offenbar war es der Lobby ihrer Industrieverbände gelungen, ihr Potential in der Metallverarbeitung, dem Fahrzeugbau und der Optik herauszustellen.

Parallel zu diesen Aufrüstungsmaßnahmen unterstützte die Reichswehr schon in den 1920er Jahren die Rüstungsforschung der Industrie aus "schwarzen Kassen". Die Entwicklung neuartiger Waffen fand sorgfältig abgeschirmt auf den Reißbrettern von Konstruktionsbüros, in Laboratorien, Versuchswerkstätten und bei Privatunternehmen statt. So entstanden ‚Schubladenergebnisse‘ und Blaupausen, die nach 1933 für eine Massenproduktion aktiviert werden konnten. Wegen der Kosten hatten bis dahin allenfalls Prototypen zu Versuchszwecken die Werkstätten verlassen, die teils im Ausland - insbesondere in Russland - getestet wurden. Diese Entwicklung konnte von mir sehr gut an dem Beispiel des Unternehmers und Erfinders Curt Heber nachgezeichnet werden. Er hatte in den 1920er Jahren für die Luftwaffe an speziellen Abwurfwaffen gearbeitet, die in Russland getestet wurden. Zuvor hatte er versucht, in Göttingen mit der Übernahme eines angestammten Unternehmens Fuß zu fassen. Mitte der 1930er Jahre geriet er in Misskredit ,er wurde enteignet und für mehrere Monate inhaftiert. Offenbar auf Drängen von Göring kam er wieder frei und wurde teilweise für den Verlust seiner Fabrik in Neubrandenburg entschädigt. Mit den Ausgleichszahlungen ließ sich Heber in Osterode nieder und setzte dort unter neuer Firma - die HEMAF - die Produktion fort.

Noch viel mehr steht
 hier drin. Foto: Verlag
Auf die in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre eingeleiteten Erkundungen und auf die Ergebnisse der während der Weimarer Zeit verdeckt betriebenen Rüstungsforschung konnte die Reichswehr und NS-Machthaber nach 1933 zurückgreifen und unverzüglich daran gehen, die erfassten Betriebe gezielt anzusprechen. Schon nach 18 Monaten, bis Mitte 1934, hatten etwa 2.800 erste Rüstungsaufträge erhalten. Die in aller Stille von der Reichswehr getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen bildeten die sofort abrufbare Grundlage der NS-Aufrüstungspolitik. Ohne diesen Vorlauf wäre die rasche und erstaunlich reibungslose Wiederaufrüstung seit 1933 undenkbar gewesen. Die dabei von der Reichswehr in den 1920er Jahren angelegten Strukturen blieben so erhalten, ebenso wie die Bevorzugung bestimmter Regionen. Weiter wurde die Wirtschaftsstruktur durch den mit Staatsmitteln finanzierten Bau neuer Rüstungsschmieden beeinflusst. Zur Verschleierung erfolgte dies unter einem zivilrechtlichen Mantel der im Staatsbesitz befindlichen Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH. Die Standortwahl der heereseigenen Betriebe erfolgte nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Sinnhaftigkeit, sondern aus militärischen Gründen in möglichst abgelegenen Gegenden, fernab der großen Industriezentren und Verkehrsknotenpunkte. Städte und Kommunen in Südniedersachsen, insbesondere die des Harzes, boten günstige Voraussetzungen. Etwa 10 % der vom Reich insgesamt verausgabten „Montan-Mittel“ gingen nach Bad Lauterberg, Göttingen, Langelsheim, Herzberg und Clausthal-Zellerfeld.

Nordthüringen blieb von dieser Entwicklung abgekoppelt. Erst als Mitte 1943 der Bombenkrieg der Alliierten hereinbrach, änderte sich diese Situation schlagartig. Zum Schutz der Ressourcen bestand die Notwendigkeit, die in den Jahren zuvor auf engstem Raum geschaffenen Rüstungszentren zu dezentralisieren, um sie so vor den Angriffen der Alliierten und vor einen Totalverlust zu schützen. Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit der Unter-Tage-Verlagerung der Raketenproduktion in die Stollenanlage des Kohnsteinmassivs bei Niedersachswerfen. Die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) hatte das Gängesystem seit Sommer 1936 als Treibstofflager angelegt, die im Spätsommer 1943 für die Raketenproduktion beansprucht wurde. Bereits zum Ausbau der Stollenanlage wurden KZ-Häftlinge aus dem nahegelegnen KZ Buchenwald auf die Baustelle geschafft. Der erste Transport traf dort Ende August 1943 ein. Da keine Baracken zur Verfügung standen und der Ausbruch der Stollenanlage oberste Priorität hatte, brachte die SS die Bauhäftlinge in den Stollen selbst unter. Anfänglich schliefen die Häftlinge auf Strohsäcken, die sie auf den blanken Fels legten. Erst im September 1943 ließ die SS zur Unterbringung weiterer KZ-Zwangsarbeiter hölzerne Etagenbetten einbauen. Bis zum Umzug in das oberridische Barackenlager - dem späteren KZ Mittelbau-Dora - sahen die Stollenarbeiter über Monate hinweg kein Tageslicht. Im November 1943 waren es bereits 8.500, die derart unter Tage vegetierten. Nach dem „Modell“ Dora sollten ab Herbst 1943 weitere Werke besonders kriegswichtig erachteter Sparten der Rüstungsproduktion in künstlichen Berghöhlen und neu geschaffenen Untertageanlagen - insbesondere in der Region um Nordhausen -  untergebracht werden. So sahen die NS-Planungen vor, in Nordthüringen eine Art Festung, Zentrum und letzten Zufluchtsort der deutschen Kriegsindustrie zu schaffen.

Die Arbeit am ersten Buch war ja stark biografisch geprägt. Schließen Sie mit dem diesem Buch etwas ab?

Das Buch ist durchaus ein Meilenstein, aber nicht das Ende meiner Recherchen. Es stehen weitere Projekte und Monografien zu einzelnen Rüstungsstandorten und -betrieben an. In den letzten Jahrzehnten hat sich viel Material angesammelt, das noch auszuwerten ist, zumal immer wieder neue Erkenntnisse hinzukommen. Für 2014 sind weitere Veröffentlichungen geplant, beispielsweise ein Beitrag zur "Heimkehle und Barbarossahöhle in den Fängen der Rüstungsindustrie".

Glauben Sie, dass es zu diesem Thema auch weiterhin Forschungsbedarf geben wird?

Ja, mit Sicherheit. Mein Buch kann nur der Anfang einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema sein. Insbesondere was die geheime Wiederaufrüstung der Reichswehr und die Kooperation mit der Industrie angeht, steht die Geschichtsforschung noch ganz am Anfang. Gerade in diesem Punkt besteht noch viel Handlungs- und Klärungsbedarf.

Einige der Produktionsstätten stellen als Altlast immer noch eine Gefährdung der Umwelt dar. Wünschen Sie sich mehr Engagement von Land und Bund bei der Bewältigung dieses Kapitels?

Insbesondere die Länder Thüringen und Niedersachsen haben, soweit ich dies beurteilen kann, hervorragende Arbeit bei der Erfassung und Erkundung von Altlasten geleistet. Ich selbst habe einige Projekte aktiv unterstützt und zum Teil an der Ausarbeitung von Gutachten als Co-Autor zu diversen Standorten in Nordthüringen mitgewirkt. Alle Rüstungsstandorte wurden flächendeckend nach Gefahrenstufen erfasst. Die sich daraus ergebenden Gefährdungspotentiale wurden bewertet und - soweit wie möglich - die erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Dies soll nicht bedeuten, dass die Gefährdung der Umwelt heute kein Thema mehr ist. Selbstverständlich besteht weiterhin Handlungsbedarf, insbesondere was die Altlasten in Herzberg in Clausthal-Zellerfeld angeht. Es ist noch viel zu tun.

Bei Heber in Osterode war Rüstungsarbeit 
vor allem Zwangsarbeit. Foto: Archiv
Der größte Teil der Belegschaft in der Rüstungsindustrie war während der Kriegsjahre Zwangsarbeit und Kriegsgefangene. Wie kann man diesen Opfern ein angemessenes Gedenken geben?

Ich habe mit vielen ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen gesprochen, die sich mir gegenüber trotz der erlittenen Qualen geöffnet haben. Sie sprachen teils sehr ausführlich über ihr Schicksal. Für sie war es teils eine Erleichterung, über die schrecklichen Erlebnisse sprechen zu können. Zudem war es für sie wichtig, dass ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät, sondern darüber berichtet wird. Von daher ist es nicht wichtig wie, sondern dass überhaupt daran erinnert wird. Die Art und Weise spielt dabei keine Rolle. Egal ob in Buchform, Gedenkstele oder Mahnstätte vor Ort.

Schließen wir doch mit einer persönlichen Frage ab. Warum sind Sie Jurist geworden und nicht Historiker?

Historiker wäre mein Traum gewesen. Allerdings hat mich meine Frau, die damals eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellte machte, davon abgehalten.

Ich danke Ihnen.


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Das Buch

Die Besprechung

Dienstag, 7. Januar 2014

Wischmeyer: Im Ausland ist es noch gruseliger

Boshaftes und wahrhaftiges über den Alltag der Deutschen

Es dürfte sich langsam rumgesprochen haben: Dietmar Wischmeyer gehört zu meinen liebsten Gesprächspartner. Warum? Es ist so erleichternd, wenn jemand anderes für einen selbst bissig und böse ist. Und die Kreativität bei der Erschaffung von Begriffen, die finde ich bewunderswert bis erfrischend grenzwertig.
Als der Meister der Verbalinjurie auf akademischen Niveau ein neues Buch ankündigt, habe ich mich auch gleich um ein Gespräch bemüht.

Achtung,  Wischmeyer lauert ihnen
draußen auf. Foto: Wilde  
Herr Wischmeyer, der Untertitel ihres neuen Buchs heißt: Zu Besuch bei deutschen Menschen. Wer lässt sie denn rein?

Gute erste Frage! Chapeau! Niemand natürlich! Doch nicht alles, was der Republik-Insasse so treibt, spielt sich in dessen Freß-und Bubuzelle ab. Und draußen, da hefte ich mich an seine Fersen.






Das Grundübel allen Seins ist die Arbeit. Wie schön könnte das Leben sein, wenn die Menschen nicht vor 12.000 Jahren den Ackerbau erfunden hätten?

Dann wären wir in jedem Fall keine 7,3 Milliarden, müßten nicht aus den Federn, wenn die interne Werkssirene heulte und der Mammutjäger würde auch nicht dauernd auf seinem iPhone rumfusseln – insgesamt eine verlockende Vorstellung.






Warum gefällt es den meisten Mitbürgern in der Lebensvollzugsanstalt? Liegt es am zwölffach getrennten Müll?

Wo sollen sie sonst auch hin, im Ausland ists noch gruseliger und für die innere Immigration fehlt die Phantasie und der Arsch inner Hose.  Hauptsächlich aber ist der Mensch – mich natürlich eingeschlossen – ein faules Schwein, das überall zufrieden ist, wo die Trauben nicht allzu hoch hängen.

Woran erkenne ich, dass der Doktor mir einen Nano-Chip bei der letzten Impfung eingepflanzt hat?
Es gibt ein Chip-Lesegerät für Hunde, hat jeder Tierarzt. Wenn man nicht allzu adipös ist, läßt sich der Chip unter der Haut auch leicht ertasten. Am einfachsten erkennt man ihn aber am diabolischen Grinsen des Arztes und wenn auf der Toilettenschüssel jemand mitten im Absetzvorgang der Analfrucht unerwartet die Rosette verschließt. Dann empfängt der eingepflanzte Chip auf derselben Frequenz wie die Garagenfernbedienung vom Nachbarn.
Nehmen wir mal an, ich komme ihnen nachts in einer hohlen Gasse mit einer ganzen Flasche Krambambuli im Blut, eine Pistole im Holster und einer geschärften Axt in der Hand entgegen und habe eine Scheißwut auf meine Frau, die Elternvertreter der Klasse 9b und alle anderen Wärter in der Lebensvollzugsanstalt. Was machen Sie dann?
Nehme ihnen die Pistole ab und erschiesse sie prophylaktisch. Das ist zumindest in einigen Bundesländern erlaubt, soweit ich weiß. Zur Sicherheit bringe ich aber noch ihre Waffe bei ihrer Frau vorbei, damit deren Fingerabdrücke drauf sind.

Das Cover
Der Arzt rät: Lesen, bevor man
zur Audienz geht. Foto: Verlag
Angenommen, der Papst lädt sie zu einer Audienz ein. Gehen Sie hin?
Prinzipiell nein, da ich nicht katholisch bin und er für mich keine größere Bedeutung hat als Lukas, der Lokomotivführer. Doch als Mann steht man ja über den Prinzipien, deshalb schon. Aber den Mittelfinger mit dem Klunker ablecken – soweit ging´s dann nicht.





Wann kandidieren Sie für den Zentralrat der Aufgeklärten? Oder sind Sie schon der Generalsekretär im Zentralrat?

Wenn man dafür kandidieren muß statt berufen zu werden, ist das nichts für mich. Mein Motto ähnelt doch sehr dem der US Army: „Ich verteidige die Demokratie, ich praktiziere sie nicht.“

Wann gehen Sie mit “Ihr müsst bleiben, ich darf gehen” auf Tournee?
Wenn die großen Herden nach Süden ziehen und die Schatten länger werden. Hugh, ich habe gesprochen!





Herr Wischmeyer, und wohin gehen Sie, wenn die anderen bleiben müssen?

Nach Hauseeeeeee!






Offensichtlich leiden sie an ihren Mitmenschen. Warum sind Sie kein Eremit geworden?
Ich leide nicht an meinen Mitmenschen sondern beute ihre Verhaltensweisen für meine Publikationen aus. Außerdem klingt „Eremit“ nach schlechtem Internet-Zugang und fehlender Müllabfuhr – das ist beides nix für mich!