Mittwoch, 30. Januar 2013

Stuart: Jede Revolution fängt als Hungeraufstand an


Jede Revolution fängt als Hungeraufstand an

Tristram Stuart zu den globalen Folgen der Lebensmittelverschwendung

Die Lebensmittelbranche macht in den letzten Jahren nur durch Skandale von sich Reden. Anfang 2011 legte der Verlag Artemis & Winkler die deutsche Ausgabe von Tristram Stuarts aktuellen Erfolgsbuch vor. Unter dem Titel „Für die Tonne“ wirft der Brite einen Blick auf die weltweite Nahrungsindustrie. Das erschreckende Ergebnis lautet: im Westen landet die Hälfte der Lebensmittel im Abfall. MIttlerweile steht dieses Thema auch auf der Agenda der bundesdeutschen Regierung. Was einem aber nicht von der Lektüre abhalten sollte.
Ich sprach mit Tristram Stuart im Januar 2011 und es war ein Interview unter erschwerten Umständen. Es war nicht einfach, den Mann an sein südenglischen Telefonzu bekommen und das Gespräch wurde auf Englisch geführt.


Er redet nur Englisch. Foto: Verlag
Mister Stuart, am Ende ihres Buches machen Sie konkrete Vorschläge für eine besseren Umgang mit Lebensmitteln und den Folgen ihrer Produktion. Ihr Ziel ist Uthropia. Wie weit sind Sie auf dem Weg?

Ich denke, dass wir schon auf dem Weg sind. Mein Buch ist vor zwei Jahren auf Englisch erschienen und ich bin vom Erfolg ein wenig überrascht. In Großbritannien haben sich mittlerweile mehrere Supermarktketten verpflichtet, zukünftig weniger Lebensmittelabfall zu produzieren.

Ist dies der Weg zu weniger Verschwendung von Lebensmitteln?


Nein, es gibt nicht nur eine Antwort auf die Frage „Wie landet weniger Nahrung in der Tonne?“ Sicherlich tut das Überangebot in den Supermärkten seinen Teil dazu. Dort werden viel Früchte weggeworfen, wenn sie nicht mehr dekorativ ist. Aber es beginnt schon bei der Produktion. In der Landwirtschaft werden bis zu 30 Prozent der Produkte weggeworfen, weil sie angeblich den Anforderungen des Marktes nicht entsprechen. Ähnliches gilt für die Bäckereien. Auch hier verschwindet ein Großteil der Produktion gleich in der Abfalltonne.
Es geht mir um eine Änderung unserer Einstellung zu Lebensmitteln. Ohne einen Verzicht auf Lebensqualität können wir hier eine Menge bewirken.

Auf der einen Seite werfen die Konsumenten des Nordens die Hälfte ihrer Nahrung in die Abfalltonne. Auf der anderen Seite hat auch der Hunger die Menschen in Tunesien auf die Straße getrieben. Wie passt dass zusammen?

Jede Revolution fängt als Hungeraufstand an. 2008 sind weltweit die Nahrungspreise in Höhe geschnellt, als Folge von Spekulation. Welche Folge dies hatte, konnte ich damals in Pakistan direkt erleben. Ich denke, dass ein rapider Anstieg der Preise nur ein Frage der Zeit ist. Vielleicht kommt schon in diesem Jahr ein neuer Schub.
Dabei haben wir die Möglichkeiten, dem zu entgehen. Schauen Sie, 90 Prozent des Sojas, das in die Europäische Union importiert wird, wird an Schweine und Rinder verfüttert. Dies gilt auch für andere Pflanzen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir diese Futtermittel wieder in Nahrungsmittel verwandeln. Auf der anderen Seite überschwemmt die EU mit ihrer Überproduktion die Länder des Südens. Deren Produzenten können aber nicht mit den subventionierten Preisen mithalten.

Mr. Stuart, ich danke ihnen für das Gespräch. 


Das Cover
Das Buch hat schon einiges bewegt.

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Mittwoch, 23. Januar 2013

Kistner: Das Publikum nicht länger betrügen

Das Publikum nicht länger betrügen


Interview mit Thomas Kistner zu den mafiösen Strukturen im Fußball und den FIFA-Vorsitzenden Blatter


Thomas Kistner ist bei der Süddeutschen Zeitung für die Sportpolitik zuständig. Er war auch schon mal Sportreporter der Jahres und hat preisgekrönte Bücher über den Sport geschrieben. Im Frühjahr 2012 kam „Die FIFA-Mafia“ auf den Buchmarkt. Darin erhebt er schwere Vorwürfe gegen die Offiziellen im internationale Fußball und zeigt den unaufhaltsamen Aufstieg des Joseph Blatter nach. Das Gespräch fand im Mai 2012 statt. Schon im September  wurde das Werk zum Fußballbuch des Jahres gewählt. In meiner Interview-Tabelle findet sich dieses Gespräche ohne Frage in der Spitzengruppe. Auch bei der Rolle der Kollegen hat Kistner kein Blatt vor den Mund genommen und da gab es auch kein Gefälle zwischen den prämierten Aufdecker von der SZ und den kleinen Schreiber aussem Harz.

Herr Kistner, haben Sie schon Stadionverbot?

Nein, das wäre auch nicht die passende Antwort. Die Funktionäre der FIFA gehen einfach nicht auf das Thema ein. Schließlich handelt es sich bei meinem Buch um eine neue Qualität an Vorwürfen, die man nicht pauschal weg dementieren kann. Also wird das Thema Korruption einfach totgeschwiegen. Aber substantielle Antworten hatte ich von der FIFA sowie nicht erwartet.

Ist damit das Echo eingetreten, dass Sie erhofft hatten?

Foto: ZDF
Für Kistner ist die FIFA eine Mafia. Foto: ZDF
Mein Buch hat es auf die Bestseller-Listen geschafft. Das ist besser als jede Diskussion im Fachkreis. Nun werden sich die Funktionäre doch zu den Vorwürfen äußern müssen. Auf der anderen Seite gibt es noch keine einstweillige Verfügung oder eine ander geartete rechtliche Auseinandersetzung.

Die FIFA hat in Budapest erste Reformen im Zeichen der Korruptionsbekämpfung beschlossen. Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Kongresses?

Für mich ist es der erwartete Witz. Eine zwei geteilte Kommission ist bei anderen Verbänden wie dem DFB schon lange üblich. Die Beschlüsse kratzen nur an der Oberfläche und sind eine klassische PR-Aktion. Sie sind der Versuch, Reformen zu installieren ohne an der Person Joseph Blatter zu rühren. Doch das Unternehmen, einen Reinigungsprozess um den Verschmutzer herum durchzuführen, ist aberwitzig. Wie das Beispiel Siemens zeigt, können sie Korruption nur dann bekämpfen, wenn die Verantwortlichen gehen müssen.

Wie konnte es soweit kommen?

Das Problem ist historisch gewachsen. Die Strukturen eines autonomen Verbands außerhalb staatlicher Normen war der Gründerzeit angemessen . Sie passt auch zum Sport im Amateurbereich, sie passt aber nicht zum Profi-Sport im Zeitalter des Entertainments, zum Sport als Segment der Unterhaltungsindustrie. Ein Grundübel sind auch die Instrumente der FIFA. Denken sie nur an die Kommission: wenige Personen treffen weitreichende Entscheidungen. Aber auch ein Personalproblem und das heißt Blatter.
Das IOC hatte Ende der 90-er Jahre ähnliche Problem. Mit einigen Reformen hat Jacques Rogge die Korruption in den Griff bekommen. Wenn sie nicht intrege Personen in den Spitzenpsotionen haben, dann taugen tausend Compliances nichs.

Also verlangen Sie einen Austausch des Personals?

Zuerst müsste die personelle Kontinuität in der FIFA gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass im Weltfußballverband eine royalistische Erbfolge praktiziert wird. Das muss jedem Demokraten sauer aufstoßen. Aber es bedarf auch einer grundlegenden Regeländerung. Sie müssen bedenken, dass die FIFA ein Verein nach Schweizer Gesetzen, sich also rechtlich auf der selben Ebene befindet mit einem Kaninchenzücherverein. Dieser Verein setzt Milliarden um. Es kann nicht wahr sein, dass nur eine Person mit ihrer Unterschrift über diese Summe verfügen. Immerhin ist es Geld, dass alle Fußballer erwirtschaften.

Wenn Korruption im Weltfußball so allgegenwärtig ist, warum lesen wir darüber so wenig?


Der Sportjournalismus hat traditionell eine Sonderrolle. Eigentlich ist Fußball ja ein schönes Spiel und niemand will an dem Ast sägen auf dem er sitzt. Im Gegensatz zu anderen journalistischen Bereichen birgt der Sportjournalismus auch eine andere Gefahr. Politik wird es immer geben sowie es Wirtschaft immer geben wird. Aber Sportjournalisten ist die Identifikation mit einem Verein sher hoch und so ein Verein kann auch in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. So gilt immer noch, dass einige Sportjournalisten Fans sind, die es über die Absperrung geschafft haben, oder eben Ex-Sportler, die nun über ihren Sport berichten sollen. Das ist, als würde Josef Ackermann jetzt einmal die Woche im Handelsblatt über Banken schreiben.Außerdem werden heutzutage Millionen für Sportrechte bezahlt. Da fällt es schwer, die dunkle Randbereiche des teuren Produkts auszuleuchten.

Zum Schluss noch ein Tipp: Wer wird Europameister?

Eine schwere Frage, aber ich denke, die Spanier schaffen es noch einmal

Herr Kistner, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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Dienstag, 22. Januar 2013

Fischer: Das Misstrauen den Institutionen gegenüber

Das Misstrauen den Institutionen gegenüber


Oberbayer Ottfried Fischer im Interview über den Willen des Herrn und die Zusammenarbeit mit Nordlichtern


Im Mai 2012 zeigte die ARD „Ausgegeigt“, die 21.Folge aus der Serie „Pfarrer Braun“. Als die Agentur von Ottfried Fischer das Angebot herum schickte, mit dem Darsteller ein Interview zu führen, sagte ich spontan ja. Diese Gelegenheit hat man nicht immer. Im Vorfeld wurde ebenso deutlich gemacht: Darüber und darüber reden wir nicht! Das Gespräch fand im Mai 2012 statt.

Ottfried Fischer spielt den Pfarrer Braun nur. Foto: ARD
Herr Fischer,seit 10 Jahren spielen Sie den Pfarrer Braun. Wie lange werden Sie noch im Auftrage des Herrn unterwegs sein.

Das ist ein sehr gute Frage, die ich so nicht beantworten kann. Der Pfarrer ist eine ausgesprochen erfolgreiche Serie, aber eben von der Quote abhängig. Doch solange die Quote stimmt, wird es den Pfarrer Braun auch weiterhin geben. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir miteinander reden.

In der neuen Folge „Ausgegeigt“ müssen Sie zum ersten Mal ohne Hansi Jochmann auskommen. Wie kommt der Pfarrer Braun ohne seine Haushälterin aus?

Das ist jammerschade, aber die Roßhauptnerin hatte einen Bandscheibenvorfall. Bisher war es eine gelungene Besetzung, die von Widersprüchen,Spannungen und von Klischees lebt. Aber mit Gundi Ellert haben wir eine Besetzung gefunden, die die Rolle der Haushälterin anders ausfüllt, mit Bezügen zum Volkstheater.

Wo wir gerade bei den Klischees sind, wie kommt ein bekennender Bayer mit dem ausgewiesenen Nordlicht Peter Heinrich Brix aus?

Sensationell gut. Wir haben eine fantastische Zusammenarbeit, vielleicht weil wir einen ähnlichen Lebensweg haben und beide in der Landwirtschaft zu Hause sind. Peter Heinrich Brix ist ein sehr gewissenhafter Mensch, mit dem man viele Dinge besprechen kann und die wir dann auch so umsetzen, wie besprochen. Das schätze ich an ihm und deswegen haben wir eine tiefe Bekanntschaft entwickelt.

Der Bulle von Tölz, der Pfundskerl und der Pfarrer Braun: Herr Fischer haben sie ein Faible für die Verbrecherjagd?


Nein überhaupt nicht, ich kann nicht ständig Leute verdächtigen. Ich habe mal den echten Bullen von Tölz kennengelernt und der sagte, dass für ihn grundsätzlich alle Mensch verdächtig sind, außer ihm selbst natürlich. Das ist überhaupt nicht meine Art. Ich verdächtige grundsätzlich niemanden. Ganz im Gegenteil, ich suche immer nach Entschuldigungen und Erklärungen für meine Mitmenschen.

Dann gibt es also keine Parallelen zwischen ihnen und den Pfarrer Braun?

Doch, es gibt zwei Parallelen. Da ist zum einen die Korpulenz. Pfarrer Braun reagiert wie ein korpulenter Mensch reagiert.Hier gibt es auch eine Zusammenhang zum Bullen von Tölz. Für beide steht die Gerechtigkeit über dem Recht. Die zweite Gemeinsamkeit von mir und Pfarrer Braun ist das Misstrauen den Institutionen gegenüber. Für Pfarrer Braun steht der Wille Jesu über den Vorschriften der Amtskirche. Ähnlich geht es mir mit der Expansion der Ämter. Hier ist Vorsicht nötig, denn von Amtswegen wird es keine Gerechtigkeit geben. Deshalb müssen wir Kabarettisten. auch unsere Form der Kontrolle ausüben.
Was mich und den Pfarrer Braun trennt? Ich bin eindeutig kein gläubiger Mensch.

Wieweit haben Sie dann Einfluss auf die Rolle?

Bisher konnte ich alle meine Dialoge selbst schreiben. In der neuen Folge „Ausgegeigt“ waren die Vorgaben durch die Degeto andere, zudem hatten wir ein neues Team. Mir macht es Spaß, eine Rolle im Spiel zu erarbeiten. Beim Rohschnitt konnte ich dann mit meinen Änderungswünschen überzeugen. Zum Ende der Dreharbeiten waren wir fast schon wieder beim alten Zustand.

Das Thema Kabarett hatten Sie schon angeschnitten. Werden wir Sie zukünftig wieder öfter auf den Brettern sehen.

Natürlich, ich habe sogar vor, mich wieder stärker dem Kabarett zu widmen. Ich bin ein relativ politischer Mensch. Momentan habe ich zwei Programme. Mit „Wo meine Sonne scheint“ bin ich gerade unterwegs und dann habe ich kürzlich beim Auftritt in Ingolstadt so etwas wie mein eigenes „Best of“-Programm entwickelt. Und außerdem habe ich noch ein Programm in Vorbereitung. Das wird „Otti und die Heimatlosen“ heißen, dabei arbeitet ich mit exzellenten Musikern aus München zusammen. Zudem schreibe ich gerade meinen ersten Roman, der im nächsten Herbst erscheinen soll.

Haben Sie dafür auch schon einen Titel?

Ja, der Titel ist „Im Panoptikum des Souverans - Berichte aus meinem Roman“. Er handelt vom München der 80er Jahren und meinen unverdauten Enthüllungen. Ich gehe davon aus, dass es im nächsten Herbst zu einigen Aha-Momenten kommen wird, aber die Form lasse ich mir nicht vorschreiben. Denn ich bin schon der Zukunft voraus, 900 Jahre nach Vereinigung von CSU, FDP und Piratenpartei. Die einen haben keine Leute, die anderen keine Politik und damit ist die Lage ausschöpfend beschrieben.

Herr Fischer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Freitag, 18. Januar 2013

Bruhns: Ich würde mich erschießen


Wibke Bruhns ist eine Legend im deutschen Journalismus. Dementsprechend froh war ich, als ich ohne Umstände einen Termin auf der Lesereise "Nachrichtenzeit" bekam. Das Gespräch fand dann im Okotber 2012 in Göttingen statt. Direkt, offen, ohne Umschweife und ohne Euphemismen, die große Dame der Fernsehberichterstattung nimmt weniger denn je ein Blatt vor den Mund. Da können sich jüngere Kolleginnen und Kollegen einiges abschauen und ältere Kollegen können sich daran erinnern, wie man diesen Beruf ausfüllen sollte. Frau Bruhns verzichtete übrigens aufs Gegenlesen und erteilte die Freigabe sofort. Nobel.

Zwei berühmte Frauen in Göttingen. Foto: Kügler

Sie war die erste Moderatorin in der Männerdomäne Fernsehen. Mit „Nachrichtenzeit“ hat Wibke Bruhns nun ihre Erinnerungen an bewegte Zeiten in der jungen Bundesrepublik Deutschland vorgelegt.

Frau Bruhns, Nachrichtenzeit, ist das ihre Biografie oder ist es schlicht ein Rückblick?

Es ist eher ein Rückblick. Journalisten sollte es nämlich peinlich sein, ihre eigene Biografie zu schreiben. Deswegen habe ich mich auch schwer damit getan, diese Buch zu schreiben. Dieeigene Biografie zu schreiben, das erscheint mir absurd, so etwas machen nur die Kerle unter den Kollegen.

Ihr Vater wurde als Attentäter des 20. Julis von den Nazis hingerichtet. Später wurden sie immer wieder als „Verräterkind“ bezeichnet. Hat sie diese Erfahrung geprägt?

Nein, nicht das „Verräterkind“, das Täterkind hat mir mehr zu schaffen gemacht. Meine Mutter war im diplomatischen Dienst tätig. In Schweden durften Mädchen aus meiner Schule nicht mit mir spielen, weil ich eine Deutsche bin. Da war ich 12 und 13 Jahre alt. Das hat mir mehr zu schaffen gemacht. Später bin ich in Plön aus dem Internat geflogen, da hatte ich es auch ein wenig drauf angelegt. Der Direktor sagte bei meiner Verabschiedung, dass mein schlechter Charakter kein Wunder sei, mein Vater sei ja schließlich Hochverräter gewesen. Das hat mich zwar beeindruckt, aber es hat keine traumatischen Spuren hinterlassen.
Kein Geld zu haben, das hing damit unmittelbar zusammen. Die Strampeleien meiner Mutter, um ihre fünf Kinder auf die Schiene zu kriegen, das hat mich geprägt. Das Vermögen war durch die Ereignisse einfach weg und wir lebten durch die Zuwendung der Stiftung „Hilfswerk 20. Julis“, mal waren das Strümpfe, mal war das Schulgeld. Das hat mich wirklich geprägt.

Der Spiegel hat in der vergangenen Woche getitelt: 50 Jahre Spiegelaffäre – als die Deutsche lernten die Demokratie zu lieben. Seit wann lieben Sie die Demokratie?

Sicher vor der Spiegelaffäre. Da hat man sich schön empören können über diese Geschichte. Aber ich habe die Demokratie lieben gelernt, als sich mein kognitives Bewußtsein ausgebildet hat, als ich anfing zu denken.Das muss so am Ende der 50er Jahre gewesen sein. Davor war es die Petticoat-Zeit. Die fünfziger Jahre waren schon heftig, da wurde extreme Anpassung gefordert gerade von junge Mädchen.
Das änderte sich an der Universität nicht. Auch dort wurde mit vielen Themen restriktiv umgegangen, schließlich waren die Hochschulen voll besetzt mit alten Nazis, das regte geradezu zum Widerspruch an.

War Politik damals einfacher?

Sie war zumindest leichter zu begreifen, im wörtlichen Sinne. Die Ost-West-Verträge zum Beispiel, da hatte man was zum Anfassen. Durch die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte waren wir sensibilisiert und mussten aber auch häufiger Stellung beziehen.
Heute ist die Welt, wie wir sie kennen, hochgradig bedroht, aber auch globalisiert. Dadurch wird die Politik diffuser. Verstehen sie den ESM? Ich nicht jedenfalls nicht so recht.Aber ich traf gestern eine junge Frau an einem Info-Stand, die wollte mir den Rettungsschirm und die Bedrohung der Demokratie erklären. Das findet ich toll, dass sie sich mit so ein hoch komplexes Thema kümmert.

Adenauer, Brandt, Strauß. Die junge Bundesrepublik war geprägt von Persönlichkeiten. Wo sind die Heute?

Die Personen, die heute Politik machen, die haben eine ganz andere Biografie. Das gilt aber auch für viele Journalisten. Brandt, Schmidt oder Strauß, die hatten Exil-Erfahrung oder Fronterfahrung, das prägt. Wenn sie dagegen das Leben von Helmut Kohl betrachten, stellen sie fest, dass der nie wirklich gearbeitet hat sondern sein ganzes Leben nicht anderes gemacht hat als Politik.

Angela Merkel gilt als Ziehkind von Helmut Kohl. Geben Sie doch mal einen Tipp ab: Ist Frau Merkel auch nächstes Jahr um diese Zeit noch Kanzlerin?

Angela Merkel hat solch ein Beharrungsvermögen, die wird auch 2030 noch Kanzlerin sein. Probleme sitzt sie aus. Egal ob Koch oder Wulff, die Herrenriege, die ihr hätte gefährlich werden können, die hat sie weggeräumt.

Sie waren die erste Nachrichtenmoderatorin des ZDF. Heute gibt es viele Frauen im deutschen Fernsehen und in der Politik. Habe es Frauen heute einfacher?

Nein, ich denke nicht. Es gibt als viele Frauen im Fernsehen und in der Politik, aber die wenigsten haben die Hand auf dem Geld. Ursula von der Leyen, die gefällt mir, die hat Haare auf den Zähnen. Ja, es gibt bei den Medien viel mehr Frauen als früher, das stimmt schon. Aber keine hat einen maßgebenden Posten, wenn man mal von Frauenzeitschriften absieht. Die Männer hängen immer noch an den Posten. Genau genommen ist bisher null passiert und eshalb bin ich vor einem Jahr zum ersten Mal in meinem Leben einem Verein beigetreten, nämlich „Pro Quote“. Ohne Frauenquote kommen wir nicht aus.

Christian Ströbele hat zugegeben, dass Politik süchtig macht. Wie süchtig macht Berichterstattung über Politik?

Ich denke schon, dass es ordentlich süchtig macht. Aber ich mache ja nicht mehr so viel. Wir konnten damals aus dem Vollem schöpfen, wir hatten Zeit und Geld um ordentlich zu recherchieren. Da kann ich aus Dankbarkeit eine Kerze anzünden. Wenn ich heute online arbeiten müsste und alle zwei Stunde die selben Nachrichten in neuen Worten bringen müsste, da würde ich mich doch glatt erschießen.

Frau Bruhns, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Trittin: Endlich deutsche Beiträge auf den Märkten der Zukunft

Endlich deutsche Beiträge auf die Märkte der Zukunft bringen

Mein Interview mit Jürgen Trittin. Der  macht sich Sorgen um die Zukunft der deutschen Wirtschaft, ist aber ansonsten ein aufmerksamer Gesprächspartner, der auch zuhört. Geführt im September 2011 in Osterode.


Jürgen Trittin zählt auf. Foto: Kügler
Herr Trittin, derzeit sind Sie auf Werbetour für den "New Green Deal". Was sind die Eckpunkte des Programms?


Es geht um drei Eckpunkte: Bildung, ökologische Erneuerung und mehr Wettbewerbsfähgikeit in Zukunftsbranchen. Trotz aller derzeitger Erfolge werden wir in Deutschland Probleme in den wirtschaftlichen Kernbereichen bekommen. Der Grund ist die Abhängigkeit von Automobil und von der Chemie. In der jetzigen Verfassung sind das keine zukunftsfähigenIndustrien. Auf der anderen Seiten haben wir Nachholbedarf auf den Zukunftsmärkten wie der ökologischen Erneuerung.

Ist denn Deutschland nicht Weltmarktführer in Sachen Windenergie?


Das stimmt. Aber in einigen Zukunftsfrage gibt es noch ungenügende Antworten, wie zum Beispiel in Verkehrsfragen. In anderen Ländern ist die Politik schon weiter bei der Regelung das Verkehrs in den Innenbereichen der großen Städte und der Ballungsräume. Wenn Sei nach Frankreich oder Japan, dann werden Sie feststellen, dass diese Länder in Sachen E-Mobilität viel weiter sind.
Weiterhin geht es nicht nur um die Art und Weise der Energieerzeugung. So sind Speichertechnologien die Märkte von morgen. Dazu gibt es noch keinen deutschen Beitrag. Hier müssen wir die Forschung verstärken.

In Kategorien der Effizienz gedacht: Was kostet das? Was bringt der “New Green Deal”?

Das Thema stand schon im letzten Bundestagswahlkampf auf der Tagesordnung und die Zahlen bleiben die gleichen. Wir gehen von einer Million neuer Arbeitsplätze aus. Diesen Jobs stehen Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro gegenüber.

Auf der einen Seite Schulden abbauen, auf der anderen Seite neue Förderprogramm auflegen. Wie passt das zusammen?

Wir schaffen dies durch eine Umfinanzierung und mit Geldern, die wir an anderen Stelle einsparen, zum Beispiel durch die Änderung der Dienstwagenprivilegien. Allein wenn wir die Steuervorteile an ökologische Kriterien knüpfen, dann steht hier ein Einsparungspotential von 3,5 Milliarden zur Verfügung.
Das scheint mir aber sehr optimisitsch gerechnet. Die Universität Köln kommt in dieser Frage doch nur auf 900 Millionen.

Vielleicht haben die Damen und Herren andere Berechnungsgrundlagen. Aber sehen, selbst auf der Basis dieser Zahlen bleiben unter dem Strich 400 Millionen Euro übrig.

Fällt dann noch ein wenig Geld für klamme Kommunen ab?

Die Kommunen müssen wirtschaftlich selbstständig werden. Ein ersterSchritt wäre es, den Kommunen keine neuen Aufgaben aufzubürden, ohne einen finanziellen Ausgleich zuliefern. Dieses Konnexitätsprinzip ist eigentlich im Grundgesetz verankert. Zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit gehört auch die Verstetigung der Einnahmen durch eine Umstellung der Gewerbesteuer. Wir Grünen fordern seit 10 Jahren, dass auch die Freiberufler Gewerbesteuer zahlen sollen. Dann könnten auf der anderen Seite die Hebesätze gesenkt werden. Dies wäre auch ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit, weil die Lasten auf mehr Schultern verteilt werden.

Laufen Ihnen dann nicht die Rechtsanwälte und Ärzte als Wähler und Mitglieder weg?

Nein, das tun sie nicht. Gerade in diesen Gruppen haben wir erheblichen Zuspruch. Weil die Gewerbesteuer in Zukunft mit der Einkommenssteuer verrechnet wird, bleibt die Belastung des einzelnen Steuerzahlers in der Summe die gleiche. Das Mehr an Gewerbesteuer kommt aber direkt den Kommunen zu Gute.

Ökologische Erneuerung heißt auch neue Energieformen.Wieviel Mais ist in ihrem Biogas?

Wir werden um Biogas nicht herumkommen. Aber mit der Fruchtfolge werden wir Monokulturen und den flächendeckenden Einsatzvon Pestiziden vermeiden. Konkret heißt dies, dass auf 45% der Anbaufläche im Folgejahr etwas anderes stehen muss als Mais. Damit reduziert sich der Mais-Anteil auf gut die Hälfte und Zuckerrüben sind auch eine Möglichkeit, Biogas zu erzeugen. Zudem müssen wir die Einspeisung des Gas vergüten und nicht dessen Verstormung. DiWeiterhin wird die Wärme-Kraft-Kopplung verbindlich sein. All dies sind keine grünen Träumen, sondern eine EU-Verordnung, die sowieso auf uns zukommt.

Wie wollen Sie die Widerständegegen Windkraftanglagen überwinden? Ich denke da zum Beispiel an Gieboldehausen.

Wenn man wie Vattenfall mit einem Großprojekt in eine Region einfällt, dann weckt man den Widerstand der Bevölkerung. Es ist eine Erfahrung, dass die frühzeitige Einbindung der Bürger anderersteits eine hohe Akzeptanz erzeugt. So ist auch im onshore-Bereich noch einiges möglich.

Herr Trittin, ich danke für das Gespräch.



Weil: Bedenken ergeben keine Perspektive

                  
Bedenken ergeben keine Perspektive

Stephan Weil im Interview zu Fehlern und Herausforderungen der Landespolitik, geführt im September 2012 in Hannover.Trotz anderslautender Versprechen fand das Gespräch mit dem Amtsinhaber nie zu Stande.

Im Januar wird in Niedersachsen der Landtag gewählt. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil möchte dann Ministerpräsident werden. Wir sprachen mit dem Kandidaten über Pläne und Perspektiven für den Harz.

Stephan Weil zeigte sich gut gelaunt. Foto: Kügler
Herr Weil, warum braucht Niedersachsen einen Regierungswechsel?

In allen Zukunftsfragen sind die niedersächsischen Positionen eher unterentwickelt und dem Land, droht der Anschluss verloren zu gehen, das fängt bei der Geburtenfrage an. Da müssen wir als SPD gegen halten.. Dafür gibt es auch einen Grund: Die Landesregierung verwaltet das Land, aber es gestaltet nicht.
Es gibt immer mehr niedersächsische Regionen, die sich fragen: Worin besteht eigentlich meine Perspektive? Das ist doch ein schlimmes Zeichen.

Und wo liegen die Perspektiven der Regionen, aus Ihrer Sicht?

Es macht keinen Sinn, dies vom grünen Tisch in Hannover aus zu bestimmen. Jede Region muss sich ein eigenes Leitbild geben und dies wollen wir in Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren vor Ort machen. Gemeisam müssen wir Stärken und Schwächen herausarbeiten. Wir brauchen maßgeschneiderte Konzepte, denn die Situation im Harz unterscheidet sich von der an der Küste.

Wo sind die Stärken des Harzes?

Da ist zum einen die industrielle Tradition und die vorhandene Infrastruktur. Ich sehe auch Anknüpfungspunkte in der chemischen Industrie und die Verkehrsanbindung sind eine gute Basis für Projekte im Logistik-Bereich.

Chemische Industrie und Logistik, sind da nicht die Konflikte mit dem grünen Wunschpartner schon vorprogrammiert?

Die Summe alle Bedenken ergeben keine Perspektive und man muss schon klar sagen, was man will. Das gilt auch für die Regionen.

Die Leitbilder nicht vom grüne Tisch sondern aus der Region: Welche Rolle spielen dabei, die von Ihnen angekündigten Landesbeauftragten für die Regionen?

Die Beauftragten sind ein erster wichtiger Schritt, denn es sind die Personen, die die Leitbilder entwickeln. Dazu müssten sich im Harz alle verantwortliche Personen an einen Tisch setzten, die Stärken und Schwächen herausarbeiten und daraus konkrete Maßnahmen entwickeln.
Im Harz haben wir es mit einer besorgniserregenden Bevölkerungsentwicklung zu tun. Es muss uns gelingen, auch im Harz Bedingungen zu schaffen, die es für jungen Familien attraktiv macht, hier zu leben. Überhaupt muss es uns gelingen, in den niedersächsischen Regionen gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen. Dazu gehören Bildungsangebote, die Chance sahffen für junge Leute. Ich sage gleichwertige, nicht gleiche.

Pläne sind schön, müssen aber auch bezahlt werden. Wo soll das Geld herkommen?

Wir werden verschiedenste Programme bündeln, dazu gehören auch die EFRE-Mittel. Hier reden wir über eine Summe von mehr als 1 Milliarde Euro, die derzeit noch in kleinen Schubladen versteckt sind. Eine Möglichkeit wäre die Gründung einer Landesförderanstalt nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen. Außer werden wir den kommunalen Finanzausgleich neu aufstellen. Es geht nicht mehr um Stadt gegen Fläche und wir müssen einen Ausgleich schaffen für die Kommunen, die vom demographischen Wandel gebeutelt sind. Ich kandidiere auch gegen die Aushöhlung der kommunalen Finanzen. Es kann nicht sein, dass der niedersächsische Ministerpräsident im Konfliktfall die Hacken zusammen schlägt und auf Bundesebene alles mitbeschließt, was voll auf die Finanzen der Städte und Gemeinden durchschlägt. So hätte man die 150 bis200 Millionen Euro für das Betreuungsgeld man besser in den Kindertagesstätten investiert.

Vier Landesbeauftragte mit jeweils 40 oder 50 Mitarbeitern. Das klingt doch stark nach noch mehr Bürokratie und jeder Menge Mehrkosten.

Erst einmal vorweg: nie zuvor wurde Niedersachsen so zentralistisch regiert wie derzeit. Wir wollen ja nicht zu den alten Bezirksregierungen und Regierungspräsidenten zurück. Wir brauchen aber Anwälte für die Regionen. Diese werden schmerzlich vermisst. Das Personal wollen wir durch Umbesetzungen in den Fachministerien zur Verfügung stellen.

Soweit die Pläne, aber in der letzten Umfrage liegt die SPD wieder hinter der CDU.

Zu allen Umfragezeitpunkten wäre Schwarz-Gelb abgewählt gewesen. Es gibt in Niedersachsen eine Wechselstimmung, weil die Menschen das Gefühl haben „Die da oben, die interessieren sich nicht für uns“. Deshalb sehen sie hier einen zuversichtlichen und gut gelaunten Kandidaten.

Was erwartet uns dann in den ersten 100 Tagen des Kabinetts Weil?

Ich will nicht von 100 Tagen sprechen, ich will lieber auf das erste Jahre schauen. Aber wir werden auf jeden Fall die Diskriminierung der Integrierten Gesamtschulen beenden und wir werden die Erkundung des Gorlebener Salzstocks sofort beenden.

Ist da nicht der Konflikt mit dem Bundesvorsitzenden vorprogrammiert.

In der Sache sind wir uns einig, aber nicht über die Vorgehensweise. Ich denke aber, dass jetzt der richtige Zeitpunkt, um Gorleben zuzumachen und Niedersachsens Rolle als Atomklo zu beenden.

Herr Weil, ich danke für das Gespräch.